Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Gedenk‑ und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam

Online-Ausstellung: "Die sowjetische Geheimdienststadt 'Militärstädtchen Nr. 7'"

Station 12: Wohnhaus der Chefs der Militärspionageabwehr

Die aus Riga stammende Marlise Steinert (1904–1982), ihre drei Kinder, Mutter und Schwester verschlug der Krieg im Februar 1945 nach Potsdam. Seit Ende April wohnte die Familie in der Großen Weinmeisterstraße 49 in einem der roten Backsteinhäuser der Pfingstgemeinde unmittelbar an der Grenze zum "Militärstädtchen Nr. 7". Ihre Tochter erinnert sich, wie die Mutter ihre Anstellung beim Geheimdienst erhielt: "Meine Mutter ging aufs Arbeitsamt. Sie musste erst an der Glienicker Brücke bauen und nachdem man merkte, dass sie fließend russisch sprach, bekam sie eine andere Stelle und zwar an der Kommandantur für dieses Städtchen. […] Nun kam sie in das Haus des Generals Seljonin und wurde praktisch Privatsekretärin von dessen Frau. Das war eine ganz hysterische Person und sie beanspruchte meine Mutter manchmal, glaube ich, 24 Stunden am Tag. Sie fuhren oft auf den schwarzen Markt nach Berlin, was selbst die Generalin gar nicht durfte. Und ich denke mal, das war mit ein Grund dafür, dass nach Moskau gemeldet wurde, welche Ausuferungen hier der Betrieb der Generalin mit ihrer Privatdolmetscherin hatte. Aber meine Mutter war ganztägig beansprucht, so dass sie zu ganz unregelmäßigen Zeiten nach Hause kam. Was das Gute war, sie brachte vom Offizierstisch genug Essen mit, so dass wir immer ein schönes Abendbrot hatten. Insbesondere erinnere ich mich an den stark gesüßten, schweren, schwarzen, russischen Tee, der auch schon satt machte, wegen des vielen Zuckers […]. Das war eigentlich die Lebensgrundlage für uns alle. […] Meine Mutter war neben dieser Tätigkeit auch hauptsächlich damit beschäftigt, die vielen Handwerker zu bezahlen. Und so hatte sie immer zwischen deutschen Handwerkern und russischem Personal zu übersetzten; und auch die Auszahlungen zu machen." (Lore Siebert, 2011)

Als Seljonin 1947 seinen Posten aufgrund interner Machtkämpfe verlor, wurde Marlise Steinert als angebliche amerikanische Spionin im Gefängnis Leistikowstraße inhaftiert. Sie berichtete: "Einmal sollte ich in einem Vorraum warten, da wurde ein Fenster geöffnet, ich sollte ein bisschen frische Luft haben. Aber von dort konnte ich den Giebel der Pfingstkirche sehen und mir war so schwer, fast sehe ich unsere Fenster und kann nicht rufen, nichts sagen. Sie wissen es gar nicht, dass ich so nah von zu Hause bin. Was denken sie, wo ich bleibe?" (Marlise Steinert, 1954)

Die drei Kinder mussten bei der Tante aufwachsen, weil der Geheimdienst auch ihren Vater inhaftiert hatte. Während Marlise Steinert nach ihrer Begnadigung 1953 zu ihrer inzwischen in die Bundesrepublik geflüchteten Familie zurückkehren konnte, verstarb Christoph Steinert (* 1899) im Jahr 1955 auf der Rückreise aus dem sowjetischen Gulag. Kameraden übergaben der Familie ein Foto seines Grabes in einem Lager bei Gorki.

Die ebenfalls aus Riga stammende mit inhaftierte Kollegin Ingrid Langewitz (1905–1955) kam 1954 wieder frei. Nach anderthalb Jahren verstarb sie in Düsseldorf. Ende der 1990er Jahre rehabilitierte die russische Hauptmilitärstaatsanwaltschaft Ingrid Langewitz und das Ehepaar Steinert posthum.


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