Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Gedenk‑ und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam

Projekte

Gemäß ihrem Auftrag führt die Gedenkstätte Leistikowstraße fortlaufend Projekte zur Erforschung der Biografien ehemaliger Häftlinge und zur Geschichte des Ortes durch. So konnten in den vergangenen Jahren bereits mehrere hundert neue Haftschicksale rekonstruiert und neue Aspekte der Gefängnisnutzung erarbeitet werden. Bei ihren Forschungen arbeitet die Gedenkstätte mit vielen Partnern und Wissenschaftlern in der ganzen Welt zusammen. Nachfolgend finden Sie eine Übersicht über aktuelle und abgeschlossene Forschungsprojekte.

 

Personennetzwerke, deren Mitglieder im Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße inhaftiert waren (2019)

Das Untersuchungsgefängnis in der Potsdamer Leistikowstraße besaß als zentraler Haftort der sowjetischen Militärspionageabwehr eine herausragende Bedeutung für die politischen, militärischen und geheimdienstlichen Konfrontationen der beiden Machtblöcke im Kalten Krieg. Zahlreiche Personen aus antikommunistischen Personennetzwerken waren hier inhaftiert. In dem Forschungsprojekt werden die Einzelschicksale dieser Personen, die in die Konfrontationen des Kalten Krieges involviert waren, erforscht und kontextualisiert. Im Fokus steht dabei die Einbindung ehemaliger Häftlinge des Gefängnisses Leistikowstraße in widerständige und/oder geheimdienstliche Netzwerkstrukturen. Es werden Recherchen in zahlreichen in- und ausländischen Archiven durchgeführt. Dies ist notwendig, um die handlungsleitenden Motive der Personen sowie mögliche Ambivalenzen, Resonanzen und Bindungskräfte aus der Zeit vor 1945 zu untersuchen.

Das Projekt nimmt folgende forschungsleitende Fragestellungen in den Blick: Wie ist die aktuelle Forschung zum Thema Widerstandsgruppen/Netzwerke/Spionage und Spionageabwehr? Wer gehörte zum jeweiligen Netzwerk? Was wissen wir über den Lebensweg der Mitglieder und welche Kontinuitäten und Brüche lassen sich ausmachen? Dabei ist zu untersuchen, ob auch Unbeteiligte in die Fänge des sowjetischen Geheimdienstes gerieten. Was lässt sich über den Anteil des MfS an der Repression durch den sowjetischen Geheimdienst dabei sagen?

Von zentraler Bedeutung ist die Erforschung der Motive. Allerdings ist diese hoch komplex. Zu fragen ist nach den individuellen Motiven für politische bzw. geheimdienstliche Tätigkeiten gegen die Sowjetisierung. Damit eng verbunden sind die Fragen, was bedeutet „Widerstand“ und was „Spionagetätigkeit“? Sind die Begrifflichkeiten und Zuschreibungen geeignet, um die Motive, Tätigkeiten und Verfasstheiten der Netze und Individuen in angemessener Weise zu analysieren? Was wollten die Individuen und Netze erreichen? Welche zeitlichen und räumlichen Schwerpunkte sind erkennbar und wie lassen sich diese Befunde deuten?

Das Forschungsprojekt wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg sowie die Beauftrage für Kultur und Medien des Bundes.

Häftlingsfoto von Hans Cölln (1947)

„Opfer des Stalinismus. Hingerichtete Häftlinge des sowjetischen Untersuchungsgefängnisses Leistikowstraße Potsdam“ (2015 - 2018)

Den 10. Jahrestag der Einweihung eines Gedenksteins auf dem Donskojer Friedhof in Moskau im Jahre 2005 nahm die Gedenkstätte zum Anlass, sich in einem Forschungsprojekt intensiv mit den Biographien der Häftlinge des Untersuchungsgefängnisses Leistikowstraße zu beschäftigen, die zum Tode verurteilt und erschossen wurden. In diesem Rahmen wurde zunächst vom 21. Januar bis 20. Dezember 2015 die von Memorial St. Petersburg und Facts & Files Berlin erarbeitete Sonderausstellung „'Erschossen in Moskau...' – Deutsche Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950-1953" gezeigt. Sie dokumentiert das Schicksal der 927 Männer und Frauen, die von Sowjetischen Militärtribunalen zum Tode verurteilt und in Moskau hingerichtet wurden. Etwa 80 dieser Personen waren vormals Häftlinge im Gefängnis Leistikowstraße.

Ihre Biografien und Hafthintergründe wurden auf Basis eigener Forschungsergebnisse und der Materialien von Facts & Files quellenfundiert und detailliert erforscht. Zudem konnten Angehörige der Erschossenen ermittelt werden, um ihnen die Möglichkeit zu geben, den historischen Ort der Inhaftierung aufzusuchen. Auf diese Weise gelangten auch persönliche Dokumente und Fotos in die Gedenkstätte, die zur tieferen Erforschung herangezogen werden können.

Derzeit erarbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte eine Broschüre über die bisher namentlich bekannten erschossenen Häftlinge des Gefängnisses Leistikowstraße.

Neben einführenden Texten zum historischen Kontext und zum Haftort sollen im ersten Teil der Publikation die Schicksale der zwischen 1945 und 1947 an bisher unbekannten Orten erschossenen Häftlinge dargestellt werden. Den aufgrund der besseren Quellenlage umfangreicheren Teil werden die Biographien der zwischen 1950 und 1953 in Moskau hingerichteten Personen einnehmen. Neben den ausführlichen Lebensläufen sollen Hintergrundinformationen zur Inhaftierung in der Leistikowstraße und anderen Haftorten sowie Darstellungen über Widerstandsgruppen, Begnadigungs- und Rehabilitierungsverfahren enthalten sein. Ergänzende Fotografien sollen den anonym verscharrten Todesopfern wieder ein Gesicht geben.

Das Forschungsprojekt wird durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert.

Wandeinritzung des Häftlings Horst Riewoldt

Häftlingsinschriften im Gefängnis Leistikowstraße (2010-2015)

Viele Jahre blieb eine eingehende wissenschaftliche Untersuchung der bereits 1994 entdeckten Häftlingsinschriften ein Desiderat. Im Jahr 2010 startete die Gedenkstätte ein umfangreiches und in weiten Teilen interdisziplinäres Forschungsprojekt, welches von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung gefördert wurde. In der ersten Phase erschlossen Restauratoren die Einritzungen systematisch. Nach der Anfertigung von Vermessungen, Spezialfotografien mit Schräg- oder Streulicht und Dokumentationen der topografischen Lage konnten die Gedenkstättenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter insgesamt etwa 1500 Inschriften in ihrer Datenbank dokumentieren - Ausgangspunkt für die wissenschaftliche Bearbeitung der Befunde. Sie untersuchten die Inschriften in Hinblick auf Entstehungszeitpunkt und -kontext, Inhalt, Sprache und Einritzwerkzeuge.

Den größten Teil des Projekts nahmen jedoch die Ermittlung von Inschriftenautoren, die Rekonstruktion ihrer Biografien und Haftumstände sowie die Erforschung der Motive ein. Im Ergebnis konnten insgesamt 49 Namen von Inschriftenautoren ermittelt werden. Lebende Autoren wurden ausfindig gemacht und kontaktiert. Zudem wurden 28 Familien ermittelt, die teilweise erstmals vom Schicksal ihres Angehörigen erfuhren.

Eine wichtige Quelle bildeten vor allem die im russischen Staatsarchiv in Moskau (GARF) verwahrten Gnadengesuche der zum Tode Verurteilten. Diese konnten einigen Familienangehörigen als letztes Lebenszeichen ihres Familienmitglieds übermittelt werden. Eingebettet in den historischen Kontext präsentierte die Gedenkstätte die umfangreichen Forschungsergebnisse am 15. April 2015 der Öffentlichkeit.

Vorgestellt wurde die 460-seitige Publikation „Sprechende Wände. Häftlingsinschriften im Gefängnis Leistikowstraße Potsdam“, die auf breiter Quellenbasis 49 Biografien der Inschriftenautoren dokumentiert. Persönliche Dokumente, Privataufnahmen und Fotografien der Einritzungen ergänzen die Darstellungen. Durch Querbezüge und Gruppenverurteilungen verweist das Buch insgesamt auf 160 Häftlingsschicksale. Ein Beitrag behandelt auch die Inhalte und Umstände der russischsprachigen Einritzungen. In der Fachwelt und Öffentlichkeit erhält das Buch fortwährend enorme Beachtung und Würdigung.

Rezension von Andreas Hilger zum Band „Sprechende Wände"

Haftbuch des sowjetischen Untersuchungsgefängnisses Leistikowstraße Potsdam 1945-1991 (2012 - 2014)

Im Jahr 2012 startete die Gedenkstätte mit der systematischen Erarbeitung einer Datenbank zu allen namentlich bekannten Häftlingen des sowjetischen Untersuchungsgefängnisses. Ziel war die Schaffung eines elektronischen Haftbuches. In intensiven biografischen Forschungen wurden hierfür die vorhandenen Informationen und Dokumente aufbereitet und durch unzählige Anfragen in Archiven, Einwohnermeldeämtern, Standesämtern und beim Deutschen Roten Kreuz ergänzt. Im Zuge des Projektes konnte die Gedenkstätte die Zahl der namentlich bekannten Häftlinge von anfangs 60 auf bisher über 700 Biografien vervielfachen.

Entstanden ist eine Datenbank, die seit 2014 die Dauerausstellung der Gedenkstätte bereichert. Zu jedem bekannten Häftling werden folgende Daten ausgewiesen: Name, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Nationalität, letzter bekannter Wohnort, Haftzeitraum im Gefängnis Leistikowstraße, Strafmaß, Entlassung aus dem Strafvollzug oder, falls ein Todesurteil ausgesprochen wurde, das Datum seiner Vollstreckung, sowie das Datum der Rehabilitierung. Sofern vorhanden, ergänzt ein zeitgenössisches Foto die Angaben und gibt den aktuell über 700 Namen ein Gesicht.

Das Haftbuch gibt Besucherinnen und Besuchern einen Eindruck von den Dimensionen und der Heterogenität der Häftlingsgesellschaft und entreißt die ehemaligen Insassen dem Vergessen. Nicht zuletzt dient es auch betroffenen Familien ehemaliger Inhaftierter als Anlaufpunkt für zuverlässige Informationen über ihre Angehörigen und ermöglicht ihnen ein individuelles Gedenken. Die Datensammlung kann Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern jedoch genauso als Recherchegrundlage dienen.